Das Gänsekind Zausel

Diese Geschichte hat Sandra geschrieben, nachdem in einer bekannten Zeitung wieder negativ über die Gänse berichtet wurde. Lest selbst:

 

 

Noch vor einiger Zeit hätte ich einen Artikel wie Ihren über die angebliche Gänseplage vermutlich nicht mal überflogen. Doch dann kam "Zausel" und mit ihm eine große Leidenschaft für die Natur und Tierwelt im Ruhrgebiet und nicht zuletzt die Aufklärung über Ammenmärchen: Dass die Wildgänse andere Tiere vertreiben, ihr Kot giftig sei, und aggressiv seien sie selbstverständlich auch.

Alles begann mit dem Kauf unseres Hauses in einem Waldgebiet mit einem riesigen Teich, wir hatten Ahnung von - Trommelwirbel - NIX. Dort waren einige Wasservögel, die ich noch nie gesehen hatte. Zudem fauchten sie, wenn ich in ihre Nähe kam. Kein guter Anfang für eine WG! Während wir an den Wochenenden renovierten, sah ich plötzlich, dass sich diese Horde wohl vermehrt hatte. Am Ostersonntag schwammen plötzlich kleine Flauschbälle hinter den Eltern her.

 

Na ja, schon irgendwie niedlich, dachte ich, und setzte mich nun bei meinen kleinen Renovierpausen immer häufiger ans Teichufer und überlegte, wie ich der ganzen Hinterlassenschaften wohl Herr werden könnte. Man hört ja überall nur Schlechtes über Gänsekot!

 

Die ein und die andere Woche zog ins Land und mittlerweile ertappte ich mich dabei, dass ich unruhig wurde, wenn ich auf den Hof einbog und den Gänsetrupp nicht direkt sah. Denn, ohne es zu merken, bewirkten meine Beobachtungen unbemerkt ein Umdenken, und vor allem wurde mein Interesse geweckt.

 

Ich hatte gelesen, dass Gänsepaare ihr Leben lang monogam leben. Alle Achtung. Und das Küken alles gezeigt bekommen müssen, um zu überleben. Wieder war ich beeindruckt. Der Umgang war liebevoll, aber streng, würde ich sagen, und jedes Küken hatte seinen eigenen kleinen Dickkopf. 

 

Man konnte spezielle Eigenarten erkennen. Der Draufgänger, die kleine Zicke, der Verträumte, der immer den Anschluss verlor und eingesammelt werden musste, der Entdecker ... und die absolute Obertröte - auch äußerlich erkennbar der Dödel des Trupps. Er hinkte optisch mächtig hinterher, durch eine Augeninfektion war er wohl auf einem Auge blind, denn die Linse wurde blau und nicht schwarz.

 

Während alle bereits das elegante braunschwarze Federkleid trugen, rannte er noch immer mit einer Flauschfederfrise auf dem Kopf herum und auch von Stimmbruch war nichts zu hören. Er sah einfach erbärmlich aus.

 

Dann kam die Zeit der Flugübungen mit den Kids und ich freute mich darauf, unser Reich bald nicht mehr teilen zu müssen. Siehe da, am darauffolgenden Wochenende waren sie weg. Wir kamen erneut zum Haus um zu arbeiten, da kam meine Nachbarin aufgeregt auf uns zu und sagte: "Die haben einen vergessen!!!".  Na toll .... die Tröte war noch hier. Was nun?

 

Ich taufte ihn Zausel, weil er noch immer völlig zerrupft aussah. Er rief ganz verzweifelt nach seinen Eltern, die aber mussten den anderen Jungtieren die überlebenswichtigen Flugrouten zeigen und kämen erst im nächsten Frühjahr wieder. Nun war ich Gänsemama einer Kanadagans, denn der kleine Kerl stalkte mich.

 

Fuhr ich mit dem Rasenmäher um den Teich, schwamm Zausel neben mir her. Setzte ich mich, schlich er sich ans Ufer und beäugte mich argwöhnisch. Manchmal versteckte er sich hinter einem Baum und schob nur den langen Gänsehals um die Ecke, um mich zu beobachten. Da kann man einfach nicht ernst bleiben und er hatte sich in mein Herz geschlichen.

 

Also Gänselektüre bestellt, Futter ebenso und nun begannen einfach tolle Monate, in denen ich jeden Tag mit Zausel in der Natur verbrachte. Er freundete sich mit einer Nilgans und einem Fischreiher an - was eine Truppe.

 

Dann wurden die Nächte kälter. Alles sah wunderschön aus, der Teich begann zu frieren. Ich hörte morgens gegen 6 Uhr ein komisches Geräusch vom Wasser ausgehend, flitzte raus und sah, das Zausel mit dem Eis kämpfte. Er hatte die Nacht auf einer der beiden Inseln verbracht und war nun quasi eingefroren.

 

Ich in die Gummistiefel und versuchte das Eis zu zertreten, während Zausel wie ein kleiner Eisbrecher immer wieder mit seiner Brust gegen die Eisschollen schwamm. Er konnte noch immer nicht fliegen! Wirklich herzzerreißend.

 

Ich holte meinen Mann, der sich todesmutig in Richtung Insel vorkämpfte, um den Kleinen aus seiner misslichen Lage zu befreien. Da Zausel aber nur mich näher kannte, geschah ein kleines Wunder. Er flog einfach über das Eis hinweg - wenig elegant, sturzflugmäßig - landete aber sicher am Ufer. Während wir beiden knietief in eiskaltem Wasser standen und mit verdutzten Gesichtern das Schauspiel beobachteten. Zausel kann fliegen- juhuuu!

 

Na ja, mein Mann meinte angesäuert, dass der kleine Teufel ihn ja wohl so was von verarscht hätte, und floh ins Warme. Ich war einfach nur froh, dass mein Schützling nun Fortschritte machte. Der Februar kam, Zausel und ich waren mittlerweile Big Buddys. Er fraß nun aus meiner Hand und wenn er Angst hatte, versteckte er sich hinter mir.

 

Plötzlich das vertraute A-Honk - die Gänse kommen zurück! Doch nun war Zausel ein erwachsener Ganter und somit Konkurrent für den eigenen Vater. Das gab Kloppe. Den armen Kerl zu einem kleinen Nebenbecken gelotst und er verstand sofort: "Ich muss nun hier einziehen, sonst gibt es Ärger.".

 

Diverse Male verteidigten wir uns gegen den Vater. Mittels Wasserpistole (also ich), Zausel versteckte sich oder suchte das Weite, während ich an der Front stand, bis Bert (so hieß der Vater bereits), in die Flucht geschlagen war. Vorerst. Er liebte seine neue "Hütte" mit fließendem Wasser, vielen Pflanzen und jeden Morgen gab es von mir "Frühstück ans Bett", sozusagen.

 

Plötzlich entdeckte er seine Leidenschaft für das Surfen. Eines morgens fand ich ihn balancierend auf einem Brett auf dem Wasser mit wachsender Begeisterung. Unglaublich lustig. Trotzdem war ich kein Ersatz für seine Artgenossen, die er sehnlichst von weitem beobachtete, und die ihn verstoßen hatten. Ich überlegte, eine Gans für ihn zu kaufen.

 

Ich kontaktierte bereits einen Anbieter, da stand morgens plötzlich "Trulla" vor dem Haus, offenbar mit Sack und Pack gelandet, denn sie zog bei Zausel ein. Die hübsche Gänsefrau mit vielen weißen Sprenkeln im Gesicht, hatte Mumm für drei und Zausel schlurfte ihr brav überall hinterher. Dann ging sie todesmutig runter zum See und ich starb tausend Tode, denn ich erwartetet einen mordswütigen Bert, wie so häufig.

 

Aber, siehe da, sie wurden geduldet und ich war selig. Bert erwartete erneut Nachwuchs und Zausel durfte die Gänsekükenschule erneut besuchen und alles aufholen. Er lernte nun fantastisch gut fliegen, zischte auch durch die kleinste Lücke, und das trotz halbseitiger Blindheit!! Ich bekam jedes mal Gänsehaut ;o)

 

Langsam dämmerte es mir:  Sie werden ihn mitnehmen, meinen Kleinen, damit auch er eines Tages seinen Kindern alles beibringen kann. Und leider kam dieser Tag vor 2 Wochen viel zu schnell. Meine Nachbarin weckte mich mit einer WhatsApp Nachricht, die lautete "Geh mal auf die Terrasse... die Gänse stehen alle vor Deiner Tür". Tatsache, Zausel drückte sich förmlich den Schnabel an der Tür platt und und 10 Gänse standen hinter ihm.

 

Zuerst verstand ich es nicht. Doch dann starteten sie, nachdem ein geeigneter Startplatz gefunden war, und flogen noch 2 Runden mit lautem A-Honk über das Haus und mich hinweg, bevor sie ihre Route aufnahmen. Wo immer dieses Ziel auch sein mag, ich hoffe an keinen Platz, an dem die Menschen schlimm mit diesen wundervollen und sozialen Tieren umgehen.

 

Ich hoffe so sehr dass er im Februar zurückkehren darf und nicht einer grauenvollen Jagd zum Opfer fällt, die nachgewiesener Maße sinnlos ist. Ich bin ein Fan geworden, meine Freunde sind aufgeklärter, Kinder begeistert.

 

Bitte zeigen Sie Verantwortung. Dies ist eine wahre Geschichte, ich bin keine militante Tierschützerin, aber ich bin so viel reicher geworden durch die Monate mit diesen und anderen tollen Tieren!


Ein Zausel Fan

 

 

 



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